Archiv des Autors: Kristina Wengorz

Familiengefühle

Sachbuch oder schon Fachbuch? Die Grenze ist fließend. Jetzt aber auf jeden Fall druckfrisch:

Cover_Süselbeck_FamiliengefühleFamiliengefühle
Generationengeschichte und NS-Erinnerung in den Medien
Jan Süselbeck (Hg.)
Broschur, 304 Seiten
Preis: 18,00 €
ISBN: 978-3-943167-81-8

Familienromane erregen Aufmerksamkeit. Sie werden in der Presse debattiert und avancieren zu preisgekrönten Bestsellern. Auch das Fernsehen folgt dem Trend. Besondere Bedeutung messen typische Plots der Rolle der NS-Verstrickung einer konstruierten ›Kriegsgeneration‹ von ›Eltern‹ oder ›Großeltern‹ zu, mit der sich deren ›Kinder‹ und ›Enkel‹ auseinandersetzen. Warum aber entwickeln diese Geschichten eine derartige Emotionalisierungskraft, und wie wird diese ästhetisch erzeugt? Welche Gefühle genau werden durch diese Darstellungen hervorgerufen?

Dieses Buch bietet kritische Beiträge zur Emotionalisierungskunst im Roman, im Comic und im Film. Neben Werken viel gelesener Autoren wie Arno Geiger, Bernhard Schlink und Uwe Timm werden dabei auch missverstandene oder bisher kaum beachtete Texte von Gisela Elsner, Thomas Harlan und Reinhard Jirgl untersucht.

Mit Beiträgen von Ole Frahm, Andrea Geier, Sieglinde Geisel, Hans-Joachim Hahn, Konstanze Hanitzsch, Urte Helduser, Markus Joch, Christine Künzel, Matthias N. Lorenz, Jan Süselbeck und Sabrina Wagner.

Mehr Informationen wie immer hier.

Und eine Buchvorstellung gibt es natürlich auch:

Mittwoch, 05.03.2014, 20:00 Uhr
Ort: Literaturforum im Brecht-Haus
Chausseestraße 125
10115 Berlin
www.lfbrecht.de

 

Peter O. Chotjewitz, Mein Freund Klaus

Für die Neuausgabe dieses wunderbaren Romans, der jetzt ganz frisch auf dem Tisch der Lektorin liegt, hat diese das Nachwort von Dietmar Dath Korrektur gelesen.

Chotjewitz_KlausPeter O. Chotjewitz
Mein Freund Klaus
Leinen mit Lesebändchen, 592 Seiten
Preis: 32,00 €
ISBN: 978-3-943167-46-7

Mit einem Nachwort von Dietmar Dath

Der Brisanz des Materials entspricht die Radikalität der literarischen Mittel. In diesem Roman liegen die Fakten auf dem Tisch. Stilsicher, kühn im Aufbau und dramaturgisch modern schreibt Chotjewitz über seinen Freund Klaus Croissant.

Klaus Croissant wurde als Strafverteidiger schikaniert, als angeblicher Drahtzieher des internationalen Terrorismus verfolgt und nach der Annexion der DDR durch die Bundesrepublik 1990 wegen staatsfeindlicher Agententätigkeit abermals verurteilt.

Penibel recherchiert, detailgetreu und in kühler Sprache erzählt, steht der Roman in einer Linie mit Chotjewitz’ skandalumwitterten Romanfragment über die RAF aus dem Jahr 1978 („Die Herren des Morgengrauens“). Von 1931 bis 2002 reicht der beklemmende Bilderbogen dieser deutschen Unrechtsgeschichte. Jeder Rechtsspruch ein Rechtsbruch.

Das Lesejahr 2013 – Teil IV

Internationale Entdeckungen

Es soll ja Menschen geben, die vor allem eine Art von Literatur lesen oder eine Sorte Filme gucken – sich auf ein Land oder eine Zeit spezialisieren, seien es russische Avantgarde, Nouvelle-Vague-Filme oder deutsche Gegenwartsliteratur. Auch die Lektorin hatte solche Phasen. Mal waren es russische Klassiker, dann wieder hatte sie die französischen Existentialisten für sich entdeckt. Wenn sie heute mal über den Tellerrand hinausguckt, dann meist auf Empfehlung wunderbarer Kollegen oder durch Zufall.

Habila_Öl auf Wasser_Cover Das erste Buch, das sie hier nennen möchte, stammt von dem nigerianischen Autor Helon Habila. Die Entdeckung des Buches „Öl auf Wasser“ verdankt die Lektorin dem wunderbaren Manfred Metzner aus dem Verlag Das Wunderhorn. Dieser Krimi um den jungen Journalisten Rufus, der sich im Delta des Niger auf die Suche nach einer verschwundenen Britin, der Ehefrau eines hohen Angestellten einer Ölbohrfima, macht und dabei auf Umweltzerstörung und eskalierende Gewalt mitten in dem politisch zerrissenen Land trifft, stand völlig zu Recht auf gleich mehreren Krimi-Bestenlisten.

Canigüz_Söhne und siechende Seelen_CoverDIE Adresse für türkische Gegenwartsliteratur auf Deutsch ist neuerdings sicherlich der binooki-Verlag. Und die beiden Verlegerinnen Selma Wels und Inci Bürhaniye können so dermaßen von ihren Büchern schwärmen, dass der Lektorin gar nichts anderes übrig blieb, als gleich zwei der wunderschön gestalteten Bücher mitzunehmen und zu lesen. Und, wie war’s? Für das Buch „Söhne und siechende Seelen“ von Alper Canıgüz spricht eigentlich schon der erste Satz: „Mit fünf Jahren befindet sich der Mensch auf der Höhe seiner Reife, danach beginnt er zu faulen.“ Dass ein fünfjähriger hyperintelligenter Ich-Erzähler bisweilen ziemlich anstrengend sein kann, ist klar – wie er sich mit der Welt der Erwachsenen arrangiert und dabei auch noch einen Mord aufklärt, hat aber dennoch hohem Unterhaltungswert. Murat Uyurkulaks Roman „Glut“ ist ein anderes Kaliber. Vom Verlag als „Roman einer Apokalypse“ bezeichnet, versetzt er den Leser in das Land Ominösien, in dem Bürgerkrieg herrscht. Nach dem Tod seines überall beliebten kleinen Bruders wird ersatzweise der Taugenichts Muster von höheren Mächten zum Prophetenkandidaten erkoren. Eine ziemlich wilde und böse Geschichte, bei der sich die Lektorin gewünscht hätte, noch mehr der Andeutungen und Parallelen zur heutigen Türkei zu verstehen.

Ogawa_DasGeheimnisDerEulerischenFormel_CoverDer Liebeskind-Verleger Jürgen Christian Kill drückte der Lektorin nach deren Bekenntnis, dass ihr absolutes Lieblingsbuch des Jahres 2012 Julie Otsukas „Wovon wir träumten“ gewesen sei, das Buch einer anderen Japanerin in die Hand: „Das Geheimnis der Eulerschen Formel“ von Yoko Ogawa. Die Geschichte über die Haushälterin eines alten Mathematikprofessors, dessen Kurzzeitgedächtnis nach einem Unfall nur noch die letzten 80 Minuten speichert, ist bezaubernd, ohne kitschig zu sein. Und Zahlen und Mathematik tun auch nicht weh.

Und weil die Lektorin gerade so schön im Japan-Fieber war, hat sie aus dem Regal mit den vielen ungelesenen Büchern, die auf den verschiedensten Wegen in den Haushalt der Lektorin gelangen, auch gleich noch „Der stumme Schrei“ (1967) des Literaturnobelpreisträgers von 1994, Kenzaburō Ōe, gezogen – in einer Ausgabe von 1994 aus dem Verlag Volk und Welt. Mitsusaburō, Vater eines geistig behinderten Kindes, fährt nach dem Selbstmord eines engen Freundes gemeinsam mit seinem Bruder und seiner Frau in sein Heimatdorf, um dort mehr über seine Herkunft zu erfahren. Dort scheinen sich historische Ereignisse (Bauernaufstand 1860) zu wiederholen. Ein eindringliches Buch, aber anders als die Schilderungen Ogawas bleibt das Gefühlsleben der Protagonisten Ōes der Lektorin fremd.

Das Lesejahr 2013 – Teil III

Literaturpreisträger

Auch für die Lektorin bieten verschiedenste Literaturpreise Orientierung bei der Vielzahl von Neuerscheinungen jedes Jahr. Seit Jahren schon bemüht sie sich, wenigstens einige davon zu lesen – natürlich auch, um mitreden zu können.

David_Wagner_Leben_CoverDer Höhepunkt 2013 war natürlich der Preis der Leipziger Buchmesse, für den auch das von der Lektorin lektorierte Buch „Nachhinein“ (Verbrecher Verlag) von Lisa Kränzler nominiert war. Da galt es natürlich, die Konkurrenz zu sichten – bevor bei der Preisverleihung die Fingernägel abgekaut wurden. Natürlich hätte sich die Lektorin einen anderen Gewinner gewünscht, findet aber, dass David Wagner mit seinem Roman „Leben“ (Rowohlt) zu Recht gewonnen hat. Ein tolles und sehr persönliches Buch zu dem sehr wichtigen Thema Organspende – und dass David Wagner schreiben kann, ist ja auch klar. Auch der Roman „Brüder und Schwestern“ (Hanser) von Birk Meinhardt hat der Lektorin gut gefallen – auch wenn sie teilweise das Gefühl hatte, ganze Passagen bereits aus anderen erfolgreichen Büchern über die letzten Jahre der DDR zu kennen. Wenig angetan hingegen war sie von Anna Weidenholzers „Der Winter tut den Fischen gut“ (Residenz Verlag). Die arbeitslose Maria, deren Leben rückwärts erzählt wird, bleibt grau – wie der gesamte Roman. Gestehen muss die Lektorin, dass „Kronhardt“ (Ullstein) von Ralph Dohrmann noch immer ungelesen in ihrem Regal steht. Aber sie hat sich wegen des Klappentextes einfach nicht überwinden können. Warum? Da heißt es: „So stiegen sie den Grubenrand hoch, und hinter ihnen das Gebell wurde leiser. Bald sahen die Jungs eine Libelle; die mathematische Anmut ihrer Geraden, und sie spürten diesen Augenblick in sich, diesen Blick, wenn man frei ist.“ Ähm: „Mathematische Anmut ihrer Geraden“? Nöö – vielleicht irgendwann mal …

Ein Ritual der Lektorin ist es auch, den alljährlichen Träger des Deutschen Buchpreises zu lesen – inklusive des Erwerbs einer signierten Ausgabe während der Frankfurter Buchmesse. „Das Ungeheuer“ (Luchterhand) von Terézia Mora ist ein intensives und formal wie gestalterisch mutiges Buch über die Irrfahrt des arbeitslosen Ingenieurs Darius Kopp durch Europa – mit der Urne seiner Frau Flora im Gepäck. Die Tagebucheinträge Floras auf der unteren Hälfte der Seiten sind ein beklemmendes Dokument der Depression.

Was liest die Lektorin noch? Natürlich Bücher des jeweils aktuellen Literaturnobelpreisträgers. 2012 ging dieser an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan. Da lag es nahe, dessen bekanntestes Buch aus dem Jahr 1987 „Das rote Kornfeld“ (Unionsverlag) – eine Familiensaga vor dem Hintergrund des chinesisch-japanischen Krieges, dessen Verfilmung sicher bekannter ist als das Buch – und die aktuelle Neuerscheinung „Frösche“ (Hanser) über die Geburtenpolitik in China zu lesen. Das Letztere hat ihr übrigens besser gefallen – wegen des wichtigen Themas?

Petrow_Monon Lescaut_CoverDie Entdeckung des besten und schönsten Buches in dieser Kategorie
verdankt die Lektorin aber keinem großen der Literaturpreise, sondern dem kleinen, aber feinen Preis der Hotlist, dem Preis für unabhängige Verlage: den wunderbaren kleinen Roman „Die Manon Lescaut von Turdej“ (Weidle Verlag) von Wsewolod Petrow aus dem Jahr 1946 über die Liebe während des Krieges. Eine bezaubernde Neuentdeckung!

Aber auch sonstige Preisträger verirren sich in die belletristische Lektüre der Lektorin. Da ist der Roman „Mörikes Schlüsselbein“ (Droschl) von Olga Martynova. Mit einem Auszug daraus hat sie den Ingeborg-Bachmann-Preis 2012 gewonnen – das hatte die Lektorin damals ziemlich überzeugt, von dem Roman ist sie aber nicht ganz so angetan. Und dann ist sie eher zufällig auf den Preisträger des Prix Goncourt 2012 gestoßen: Jerôme Ferraris „Predigt auf den Untergang Roms“ (Secession). Ein Buch, das sie vielleicht irgendwann noch einmal auf Französisch lesen wird – eine tolle Geschichte über eine korsiche Dorfkneipe, in der das ganze Leben verhandelt wird, und faszinierende Protagonisten, aber bisweilen holpert die Übersetzung dann doch ein wenig.

Und die Preise in 2014? Die Lektorin ist gespannt.