Nina Bouraoui, Geiseln

Dieses schmale, aber sehr eindringliche Buch hat die Lektorin für Elster & Salis Korrektur gelesen:

Nina Bouraoui, Geiseln, Korrektorat, Belegexemplar, Messer, Rose

Nina Bouraoui
Geiseln
(OT: Otages)
Deutsch von Nathalie Rouanet
Elster & Salis
gebunden
160 Seiten, 19 €
ISBN: 978-3-906903-16-3

»Ich heiße Sylvie Meyer. Ich bin dreiundfünfzig Jahre alt. Ich bin Mutter zweier Kinder. Ich lebe seit einem Jahr von meinem Mann getrennt. Ich arbeite bei Cagex, einem Gummiunternehmen. Ich bin für die Produktionskontrolle zuständig. Ich bin nicht vorbestraft.«

Sylvie Meyer ist eine einfache, starke Frau mit klaren Grundsätzen – und eine Arbeiterin, auf die man sich verlassen kann.

Als ihr Mann sie verlässt, sagt sie nichts, weint nicht. Sie macht weiter wie zuvor, kümmert sich um ihre beiden Söhne im Teenageralter, versucht, nachts ein Bett auszufüllen, das zu groß für sie geworden ist. Auch als ihr Chef Victor Andrieu sie plötzlich zwingt, die anderen Arbeiterinnen, die »Bienen«, heimlich zu überwachen, fügt sie sich. Sylvie will kein Opfer sein. Sie erstellt Listen und sucht nach Kriterien für künftige Entlassungen. Wieder handelt sie, wie von ihr erwartet, doch gegen ihr moralisches Empfinden. Bis zu jenem Tag im November, als die Ungerechtigkeit, die Gewalt der Welt und ihre eigene Einsamkeit sie einholen; als sie erkennt, dass sie seit Langem erstickt, bei der Arbeit und im Privaten, da endlich rebelliert Sylvie und schreitet zur Tat. Kurz fühlt sie sich wieder lebendig und frei.

Nina Bouraoui verleiht ihrer Heldin in einem Monolog eine Stimme voller Dringlichkeit und Unmittelbarkeit. Sie erzählt die Geschichte einer Gefangenschaft und einer Befreiung: kraftvoll und doch diskret, voller Feingefühl für die seelischen Zwischentöne.

Nina Bouraoui, geboren 1967, ist eine der führenden französischen Schriftstellerinnen ihrer Generation. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Algerien, mit Zwischenstationen in Zürich und Abu Dhabi, und lebt seitdem in Paris. Sie ist Preisträgerin des Prix Renaudot, Prix du Livre Inter und Prix Emmanuel Roblès, und Commandeur de l’ordre des Arts et des Lettres. Ihre Romane sind weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt. »Geiseln« wurde mit dem Prix Anaïs Nin 2020 ausgezeichnet und für den Prix des Cinq Continents nominiert. Nina Bouraoui schrieb »Geiseln« bereits 2016 – noch vor der Bürgerbewegung der Gilets jaunes und vor #MeToo – »als Hommage an die wirtschaftlichen und emotionalen Geiseln, die wir alle sind«.