Archiv des Autors: Kristina Wengorz

Frankfurter Buchmesse 2017

Auch in diesem Jahr ist die Lektorin wieder auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs. Sie freut sich sehr darauf!

Dieses Jahr wird sie nicht ganz so lange auf der Messe sein und hat auch keine festen Standdienst, ist aber die meiste Zeit vermutlich in Halle 4.1 unterwegs, in der auch die Verlage zu finden sind, für die sie arbeitet. Dort finden sich auch die von ihr betreuten Bücher, und zwar an  folgenden Ständen:

– Guggolz Verlag F 97
– Secession Verlag D 5
– Verbrecher Verlag D 37
– Voland & Quist G 25

Wer sich nicht auf sein Glück verlassen möchte, der Lektorin zufällig über den Weg zu laufen, sie nicht erkennen würde oder selbst nur kurz auf der Messe vorbeischaut, möge doch bitte einen Termin mit ihr ausmachen – auf einen Kaffee, ein Glas Wein oder einfach ein nettes Gespräch über Bücher.

Natürlich gibt es auch in diesem Jahr wieder einige Pflichttermine. Darunter die inzwischen legendären Barabende im Knobbe (Koblenzer Straße 9) – dieses Jahr leider, leider, leider zum letzten Mal. Aber bei aller Trauer darum: Lasst uns einfach gemeinsam die Literatur und die tollen Menschen dort feiern! Es lesen aus dem Verbrecher Verlag Jovana Reisinger (am Donnerstag, dem 12.10.) und Manja Präkels (am Samstag, dem 14.10.); sie werden von tollen Autor*innen aus anderen Verlagen unterstützt. Los geht es jeweils ab 21 Uhr.

Außerdem gibt es wie jedes Jahr noch die Verleihung der Preise der Hotlist. Diesmal steht zwar kein Buch der Lektorin auf der Liste, aber die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Verlagen haben alle Unterstützung ihrer Arbeit verdient.

Die Preisverleihung und die anschließende Party der Independents finden wieder am Freitagabend (13.10.) ab 21 Uhr im Literaturhaus Frankfurt (Schöne Aussicht 2) statt.

Auf die Bücher, fertig, los!

Ruth Zylberman, Vermisstenstelle

Und auch für diesen Titel aus dem Secession Verlag hat die Lektorin, sehr zu ihrer Freude, das Korrektorat übernehmen dürfen:

Ruth Zylberman
Vermisstenstelle
(OT: La direction de l’absent)
aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Roman
gebunden ohne Schutzumschlag
174 Seiten; 20,00 €
ISBN 978-3-906910-18-5

 

Ein kleines Mädchen spaziert bei Tag durch Paris. Bei Nacht wird es im Traum eingeholt von der Geschichte seiner Familie, einer Vergangenheit, die sich in seinen Körper eingeschrieben hat und die es in die Straßen des Warschauer Ghettos führt.

Der Großvater stammte aus Polen, wo auch die Mutter geboren wurde, die als Kind nur knapp der Ermordung durch die Deutschen entging. Ihre Tochter soll nur leben, mehr verlangt sie nicht. Doch Albträume lassen auch die inzwischen bald Vierzigjährige nicht los, sodass ihr Lebenswillen immer mehr schwindet. Um die Sehnsucht nach dem Tod zu überwinden, muss sie sich der Vergangenheit stellen, die ihren Alltag und ihre Beziehungen prägt. Als sie durch ein amtliches Schreiben aus dem Jahr 1945 erfährt, dass ihr Großvater nicht, wie immer angenommen, in Bergen-Belsen umgekommen ist, sondern befreit wurde, macht sie sich auf die Suche nach diesem Mann, von dem seit 65 Jahren jegliches Lebenszeichen fehlte. Sie fährt mit ihrer Mutter nach Warschau, gerät immer tiefer in den Osten und findet dabei zu sich selbst. Doch sie fördert auch eine Wahrheit zutage, die weit über die Geschichte ihrer Familie hinausstrahlt.

Ein dunkles, ein gefährliches Strahlen ist es, das Ruth Zylberman hier mit ihrer betörend klaren Sprache bannt.

Ruth Zylberman (geb. 1971 in Paris) studierte Geschichte an der Sciences Po Paris und an der New York University, bevor sie als Autodidaktin in die Filmbranche wechselte. Nach einigen gemeinsamen Filmen mit dem Regisseur und Moderator Serge Moati setzte sie eigene Projekte um, viele davon für ARTE, unter anderem ein Porträt des legendären Pariser Verlegers Maurice Nadeau: „Maurice Nadeau, Le Chemin de la vie“. Für ihren Film „Dissidents, les artisans de la liberté“ (2010) wurde sie mit dem Grand Prix du documentaire d’histoire ausgezeichnet. „Vermisstenstelle“ ist ihr erster Roman.

Nathalie Azoulai, An Liebe stirbt man nicht

Für den Secession Verlag hat die Lektorin diesen wunderbaren Band zum Frankreich-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse Korrektur gelesen – über die Liebe, über Literatur und über Jean Racine.

Nathalie Azoulai
An Liebe stirbt man nicht
(OT: Titus n’aimait pas Bérénice)
aus dem Französischen von Paul Sourzac
Roman
gebunden, ohne Schutzumschlag
250 Seiten, 25,00 €
ISBN 978-3-906910-16-1

 

Spricht man in Frankreich von der Liebe, kommt man früher oder später auf Jean Racine, den größten Tragödienautor Frankreichs – vor allem wenn man von jener Liebe spricht, der kein glückliches Ende beschert ist. Und doch ist Racine mehr als all die geflügelten Worte, zu denen viele seiner Verse geworden sind.

Zwischen all dem klassisch weißen Marmor lauern die Schatten. »Eine Trennung ist keine Nichtigkeit«, schreibt Racine im Vorwort zu seiner Tragödie Bérénice – und Nathalie Azoulai nimmt ihn beim Wort. Ihre Bérénice, eine Frau des 21. Jahrhunderts, wird verlassen; Titus, ihr Liebhaber, kehrt zurück zu Frau und Familie. Und tatsächlich – die Worte Racines sind ihr ein Trost; sie erkennt sich in ihnen wieder; sie bedient sich wie in einem »Selbstbedienungsladen für Liebeskranke«. Doch wie konnte ein Mann des 17. Jahrhunderts so treffend über die Liebe und das Leid und den Schmerz nach deren Ende schreiben – zumal aus der Perspektive einer Frau?

Mit Bérénice taucht Azoulai ein in das Leben Jean Racines, zeigt dessen Aufstieg vom Waisenkind im strengen Kloster Port-Royal zum Günstling Ludwigs XIV., die Zerrissenheit zwischen der jansenistischen Askese und dem Prunk am Hof des Sonnenkönigs. Und immer sind ihm Sprache und Literatur Anker und Kompass: die verbotenen und im Verborgenen gelesenen Texte Vergils und Heliodors als Kind und die Suche nach neuen Ausdrucksformen der Liebe und Leidenschaft als immer erfolgreicherer Dichter.

Nathalie Azoulai spiegelt ihre Bérénice der Gegenwart in der Lebensgeschichte ihres Schöpfers und dessen éducation sentimentale im Schmerz seiner Figur, Bérénice. Und so wird dieser berückend schöne und filigrane Text zu weit mehr als einer Biografie oder einem historischen Roman: Nathalie Azoulai zeigt die Universalität der Leidenschaft und des Kummers über die Jahrhunderte hinweg und beschreibt so eine Topografie der Sprache der Liebe.

Nathalie Azoulai, (geb. 1966 in Nanterre bei Paris) studierte Literaturwissenschaften und arbeitete nach ihrem Abschluss als Lehrerin, bevor sie Lektorin wurde. 2002 erschien ihr erster Roman. Heute lebt und arbeitet sie als Schriftstellerin und Drehbuchautorin in Paris. An Liebe stirbt man nicht ist Nathalie Azoulais sechster Roman und ihr erster in deutscher Übersetzung. Sie war damit 2015 unter den drei Finalisten des Prix Goncourt und wurde dafür mit dem Prix Médicis ausgezeichnet.

Petre M. Andreevski, Quecke und Johannes V. Jensen, Himmerlandsvolk

Die beiden Titel des Herbstprogramms des Guggolz Verlags, die die Lektorin Korrektur gelesen hat, sind da! Ganz besonders freut sie sich über den wunderbaren Roman »Quecke«.

Petre M. Andreevski
Quecke
OT: Pirej (1980)
Aus dem Mazedonischen von Benjamin Langer
Mit Nachworten von Benjamin Langer und Goce Smilevski
Illustration von Valeria Gordeew
445 Seiten, € 24
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-13-1

Jon und Velika, ein Ehepaar aus einem kleinen Dorf in den Bergen, werden von den Umbrüchen der mazedonischen Geschichte erfasst. Es ist die Zeit der Balkankriege, des Ersten Weltkriegs und der Jahre nach diesen einschneidenden Erfahrungen. Jon und Velika erzählen  abwechselnd Kapiteln von ihrem Leben – und zeigen, wie sie zwischen politischen Verwerfungen, Besitzansprüchen und Auseinandersetzungen fast zerrieben werden.

»Quecke« ist eine Erzählung von tragischem Ausmaß, in ihr nimmt der unablässige Kampf ums Überleben eine eigenartige Schönheit an. Es sind nicht nur die immer neu geschöpfte Hoffnung, die Widerstandskraft und die Fähigkeit, Schläge hinzunehmen und wieder aufzustehen – es ist auch die Schönheit der Einfachheit, der Landschaft, des täglichen Schuftens, die berührt und fasziniert. Andreevski hat in seinem ganz eigenen suggestiven Erzählton, nahe an mündlicher Rede, mit Jon und Velika Figuren geschaffen, die wie die Quecke für das mazedonische Volk stehen und eine tiefe Wahrheit vermitteln. »Quecke« lässt uns Leser viel über die Geschichte Mazedoniens erfahren und auch, dass es etwas gibt, das weit stärker ist als politische Interessen und nationalistische Kleinheit: die Liebe zu den Seinen und die unbändige Sehnsucht nach einem friedlichen Leben. Petre M. Andreevski hat mit »Quecke« den großen Roman über das Mazedonien zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben, in seiner Heimat ist er längst ein Klassiker und Schullektüre.

Petre M. Andreevski (1934–2006) wurde im Dorf Sloeštica in der Region Demir Hisar im südwestlichen Mazedonien geboren. Nachdem er die dortige ländliche Volksschule besucht und später im nahe gelegenen Bitola an einer pädagogischen Mittelschule seinen Abschluss gemacht hatte, arbeitete er für kurze Zeit in den Dörfern seiner Heimatregion als Lehrer. Danach begann er in Skopje südslawische Philologie zu studieren und wandte sich schließlich dem Journalismus zu. Er arbeitete als Redakteur für das Mazedonische Fernsehen, war dort verantwortlich für Film und Volksmusik, später arbeitete er auch für das Literaturmagazin Razgledi. Nachdem er sich ab den Sechzigerjahren zuerst als Lyriker einen Namen gemacht hatte, veröffentlichte er 1980 mit »Quecke« seinen ersten Roman, der zu einem der bis heute meistgelesenen Bücher Mazedoniens wurde. Neben seiner vielfach ausgezeichneten Lyrik und Romanen schrieb Andreevski auch Theaterstücke und Kurzprosa sowie Kinderbücher. Er war Mitglied des mazedonischen Schriftstellerverbands, des mazedonischen P.E.N. und der mazedonischen Akademie für Kunst und Wissenschaft. 2006 starb Andreevski in Skopje, beerdigt wurde er jedoch in seinem Geburtsort Sloeštica.

Johannes V. Jensen
Himmerlandsvolk
OT: Himmerlandsfolk (1898)
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Mit einem Nachwort von Carsten Jensen
181 Seiten, € 20
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-12-4

Johannes V. Jensen erzählt in seinen Geschichten aus Himmerland von einer untergegangenen Welt. In zwölf Erzählungen nimmt er einzelne Protagonisten einer vorindustriellen bäuerlichen Dorfgesellschaft in den Blick. Jensen beschreibt die archaischen Verhältnisse und Lebensbedingungen seiner Figuren mit feiner Zartheit und berührender Einfühlsamkeit: Wir lernen Landsknechte, Mägde, Hoferben, den Tierarzt und den Schmied kennen, erfahren, was am Neujahrsmorgen im Dorf passiert und was es mit Thomas vom Brückenhof auf sich hat. Die Welt, die Jensen vor unseren Augen auferstehen lässt, ist die seiner eigenen Kindheit. Er porträtiert seine Heimatregion ohne Groll, ohne Verklärung – einzig, um sie in der Literatur festzuhalten und unsterblich zu machen.

Die dörflichen Geschichten und Lebensbilder sind mit scharf umreißenden Sätzen und präzisen Attributen beschrieben; als Erzähler ist Jensen ganz bei seinen Figuren, lauscht ihnen ihre Wahrheit ab. Sie sind tragische Gestalten, erdulden ihre täglichen Mühen, und nehmen es doch mit bissigem Humor, erkennen auch die Komik in ihrem Treiben. Ulrich Sonnenberg hat in der deutschen Übersetzung für die mehr als 100 Jahre alten Prosabilder eine Sprache gefunden, die uns heutige Leser direkt auf diese Himmerländer Menschen blicken lässt, als würden wir ihnen gegenüberstehen. Sie bilden einen Chor, eine Art menschliches Grundrauschen, in dem Johannes V. Jensen jeden einzelnen auf seine ganz eigene Weise zum Leuchten bringt.

Johannes V. Jensen (1873–1950) wurde im Dorf Farsø im jütländischen Himmerland geboren. Er stammte aus einer alteingesessenen himmerländischen Weberfamilie mit neun Geschwistern. Schon als Junge verfiel er dem Lesen und den Büchern, weshalb ihn der Vater aufs Gymnasium nach Viborg schickte. Zum Medizinstudium ging Johannes V. Jensen nach Kopenhagen, er brach es jedoch ab und schrieb Abenteuer- und Unterhaltungsromane für Illustrierte. 1898 veröffentlichte Jensen unter dem Titel »Himmerlandsvolk« einen Erzählungsband, den er später als sein Erstlingswerk bezeichnete. Mit ihm gelang ihm der Durchbruch als Schriftsteller. Johannes V. Jensen schuf ein umfangreiches und auch sehr abwechslungsreiches Werk, besonders wichtig der historische Roman »Des Königs Fall« (1900) und das sechsbändige Werk »Die lange Reise« (1908–1922) über die Frühgeschichte der Menschheit. Von den Geschichten aus Himmerland veröffentlichte Jensen noch zwei weitere Bände, 1904 »Neue Himmerlandsgeschichten« und 1910 »Himmerlandsgeschichten, dritter Teil«. Jensen, der 1944 als Krönung seines Werks mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, starb 1950.