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Das Lesejahr 2013 – Teil III

Literaturpreisträger

Auch für die Lektorin bieten verschiedenste Literaturpreise Orientierung bei der Vielzahl von Neuerscheinungen jedes Jahr. Seit Jahren schon bemüht sie sich, wenigstens einige davon zu lesen – natürlich auch, um mitreden zu können.

David_Wagner_Leben_CoverDer Höhepunkt 2013 war natürlich der Preis der Leipziger Buchmesse, für den auch das von der Lektorin lektorierte Buch „Nachhinein“ (Verbrecher Verlag) von Lisa Kränzler nominiert war. Da galt es natürlich, die Konkurrenz zu sichten – bevor bei der Preisverleihung die Fingernägel abgekaut wurden. Natürlich hätte sich die Lektorin einen anderen Gewinner gewünscht, findet aber, dass David Wagner mit seinem Roman „Leben“ (Rowohlt) zu Recht gewonnen hat. Ein tolles und sehr persönliches Buch zu dem sehr wichtigen Thema Organspende – und dass David Wagner schreiben kann, ist ja auch klar. Auch der Roman „Brüder und Schwestern“ (Hanser) von Birk Meinhardt hat der Lektorin gut gefallen – auch wenn sie teilweise das Gefühl hatte, ganze Passagen bereits aus anderen erfolgreichen Büchern über die letzten Jahre der DDR zu kennen. Wenig angetan hingegen war sie von Anna Weidenholzers „Der Winter tut den Fischen gut“ (Residenz Verlag). Die arbeitslose Maria, deren Leben rückwärts erzählt wird, bleibt grau – wie der gesamte Roman. Gestehen muss die Lektorin, dass „Kronhardt“ (Ullstein) von Ralph Dohrmann noch immer ungelesen in ihrem Regal steht. Aber sie hat sich wegen des Klappentextes einfach nicht überwinden können. Warum? Da heißt es: „So stiegen sie den Grubenrand hoch, und hinter ihnen das Gebell wurde leiser. Bald sahen die Jungs eine Libelle; die mathematische Anmut ihrer Geraden, und sie spürten diesen Augenblick in sich, diesen Blick, wenn man frei ist.“ Ähm: „Mathematische Anmut ihrer Geraden“? Nöö – vielleicht irgendwann mal …

Ein Ritual der Lektorin ist es auch, den alljährlichen Träger des Deutschen Buchpreises zu lesen – inklusive des Erwerbs einer signierten Ausgabe während der Frankfurter Buchmesse. „Das Ungeheuer“ (Luchterhand) von Terézia Mora ist ein intensives und formal wie gestalterisch mutiges Buch über die Irrfahrt des arbeitslosen Ingenieurs Darius Kopp durch Europa – mit der Urne seiner Frau Flora im Gepäck. Die Tagebucheinträge Floras auf der unteren Hälfte der Seiten sind ein beklemmendes Dokument der Depression.

Was liest die Lektorin noch? Natürlich Bücher des jeweils aktuellen Literaturnobelpreisträgers. 2012 ging dieser an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan. Da lag es nahe, dessen bekanntestes Buch aus dem Jahr 1987 „Das rote Kornfeld“ (Unionsverlag) – eine Familiensaga vor dem Hintergrund des chinesisch-japanischen Krieges, dessen Verfilmung sicher bekannter ist als das Buch – und die aktuelle Neuerscheinung „Frösche“ (Hanser) über die Geburtenpolitik in China zu lesen. Das Letztere hat ihr übrigens besser gefallen – wegen des wichtigen Themas?

Petrow_Monon Lescaut_CoverDie Entdeckung des besten und schönsten Buches in dieser Kategorie
verdankt die Lektorin aber keinem großen der Literaturpreise, sondern dem kleinen, aber feinen Preis der Hotlist, dem Preis für unabhängige Verlage: den wunderbaren kleinen Roman „Die Manon Lescaut von Turdej“ (Weidle Verlag) von Wsewolod Petrow aus dem Jahr 1946 über die Liebe während des Krieges. Eine bezaubernde Neuentdeckung!

Aber auch sonstige Preisträger verirren sich in die belletristische Lektüre der Lektorin. Da ist der Roman „Mörikes Schlüsselbein“ (Droschl) von Olga Martynova. Mit einem Auszug daraus hat sie den Ingeborg-Bachmann-Preis 2012 gewonnen – das hatte die Lektorin damals ziemlich überzeugt, von dem Roman ist sie aber nicht ganz so angetan. Und dann ist sie eher zufällig auf den Preisträger des Prix Goncourt 2012 gestoßen: Jerôme Ferraris „Predigt auf den Untergang Roms“ (Secession). Ein Buch, das sie vielleicht irgendwann noch einmal auf Französisch lesen wird – eine tolle Geschichte über eine korsiche Dorfkneipe, in der das ganze Leben verhandelt wird, und faszinierende Protagonisten, aber bisweilen holpert die Übersetzung dann doch ein wenig.

Und die Preise in 2014? Die Lektorin ist gespannt.

Das Lesejahr 2013 – Teil II

Neue Lieblingsautoren

Bücher von Autoren, die die Lektorin erst kürzlich entdeckt hat …
… aber sie weiß schon jetzt, dass sie eine neue Sucht entwickelt hat: mehr!

Irgendwie ist es dann auch sehr folgerichtig, dass sie von diesen Autoren jeweils mehrere Titel gelesen hat.

Khider_AuberginenrepublikDie größte Neuentdeckung, denn es ist die einzige, die wirklich aus dem Jahr 2013 stammt, ist Abbas Khider. Der seit 2000 in Deutschland lebende und auf Deutsch schreibende, in Bagdad geborene Autor verarbeitet in seinen Büchern seine Erfahrungen mit der irakischen Diktatur, dem Gefängnis und sein Leben als illegaler Flüchtling in verschiedenen Ländern. Sein Buch „Brief in die Auberginenrepublik“ (Edition Nautilus) über einen Liebesbrief, der an der Zensur vorbei aus Libyen auf den unglaublichsten Wegen nach Bagdad geschickt wird, hat mich so berührt, dass ich gleich auch noch „Die Orangen des Präsidenten“ (Edition Nautilus 2011) lesen musste. In diesem ebenfalls schmalen Buch entführt Khider den Leser in den Irak der Achtziger- und Neunzigerjahre, der der Lektorin weitgehend unbekannt war. Der junge Mahdi erzählt Geschichten aus seiner Kindheit und seiner Jugend während er im irakischen Gefängnis sitzt. Abbas Khider erzählt unglaublich berührend – klar und poetisch! Die Lektorin will und wird unbedingt noch mehr von ihm lesen.

Die anderen beiden Autoren, von denen die Lektorin in diesem Jahr gleich mehrere Bücher gelesen hat, kennt sie schon ein wenig länger. Es sind beides wichtige Autoren des Verbrecher Verlags, und schon in den letzten beiden Jahren hat die Lektorin Bücher von ihnen gelesen, doch erst seit diesem Jahr ist klar: Sie werden zu Lieblingsautoren der Lektorin.

Dath_PulsarnachtDer eine ist Dietmar Dath. Unglaublich wie dieser kluge Vielschreiber das Denken des Lesers schwindelig schreiben kann, wie neue und alte Ideen bei ihm durchgerührt werden und daraus immer etwas völlig Neues entsteht. In diesem Jahr hat die Lektorin gleich drei Romane von ihm gelesen. Den aktuellen Titel „Pulsarnacht“ (Heyne) und die beiden älteren Suhrkamp-Romane „Die Abschaffung der Arten“ (2008, Shortlist des Deutschen Buchpreises) und „Sämmtliche Gedichte“ (2009). Manchmal kommt sich die Lektorin beim Lesen seiner Bücher ziemlich klein und dumm vor, weil sie Dath nicht immer folgen kann, meistens aber großartig unterhalten und hinterher immer bereichert und nachdenklich. Zum Glück hat Dietmar Dath schon so viele Bücher geschrieben, dass es noch ganz viel Lesestoff gibt – und zum Glück schreibt er und schreibt er und schreibt er …

Elsner_Fliegeralarm_CoverAnders ist es leider mit Giesela Elsner, die 1992 Selbstmord beging. Hier kann die Lektorin nur noch ältere Titel „nach“lesen. In diesem Jahr ebenfalls gleich drei Stück, von denen sie den Roman „Fliegeralarm“ über Vorschulkinder während des Bombenkriegs am Ende des Zweiten Weltkriegs am eindrücklichsten fand. Daneben hat sie den Debütroman Elsners „Die Riesenzwerge“ (1964 – leider nur noch antiquarisch zu erhalten) über die Verlogenheit Nachkriegsdeutschlands und den postum erschienenen Roman „Otto der Großaktionär“ (2008) über den mit Aktien an seinem Betrieb beteiligten Chemiearbeiter Otto Rölz, der dennoch entlassen wird, gelesen. Kapitalismuskritik pur. Die Sprache und Texte Elsners muss man aushalten können, dann aber haben ihre Bücher nichts an Aktualität verloren und gewähren tiefe Einsichten in die bundesdeutsche Wirklichkeit – bis heute.

Das Lesejahr 2013 – Teil I

Lieblingsautoren

Bücher von Autoren, von denen die Lektorin immer wieder das neuste Buch liest …
… oder von denen sie ältere Titel nachliest, falls es gerade nichts Aktuelles gibt.

Ihre Vorliebe für diese Autoren (es gibt natürlich noch viel mehr, aber nicht jeder/jede veröffentlicht regelmäßig Neues, bei manchem/mancher ist alles Erschienene bereits gelesen, und außerdem hat das Jahr ja auch nur eine begrenzte Anzahl von Tagen) ist die Lektorin nicht gewillt zu diskutieren. Es ist halt so. Irgendeines der von ihnen verfassten Bücher hat die Lektorin so berührt, dass sie immer wieder denkt, sie könne diese Leseerlebnisse wiederholen. Enttäuschungen natürlich inbegriffen. Wann z. B. hat Umberto Eco das letzte wirklich gute Buch geschrieben? Aber das führt jetzt vom Thema weg. Bei ihren Lieblingsautoren ist die Lektorin natürlich auch immer besonders kritisch – lesenswert sind die folgenden Bücher allemal.

2013 haben diese Autoren und Titel die Lektorin begleitet:

Kirchhoff_Die LiebeDie Lektorin lehnt sich jetzt mal aus dem Fenster: Das neuste Buch ist zugleich das beste Buch von Bodo Kirchhoff. Mit dem Roman „Die Liebe in groben Zügen“ (FVA) über die Liebe und eine nicht mehr junge Ehe hat er sich selbst übertroffen. Unbedingte Leseempfehlung.

Eher enttäuschend hingegen war das neue Buch von Tom Wolfe. Klar, seine Fähigkeit, den Leser durch detaillierte Personen-, Milieu- und Ereignisschilderungen in andere Welten zu entführen, hat er nicht verloren. Aber sein Versuch, ihn in „Back to Blood“ (Blessing) nach Miami mitzunehmen, ist dann doch mit allzu vielen Stereotypen und vorurteilsbelastetem Vokabular versehen. Das mag beabsichtigt sein, aber irgendwann rieselte es der Lektorin kalt den Rücken runter. Deutlicher mag sie hier nicht werden – einfach mal über den Romantitel nachdenken.

Hosseini_TraumsammlerUneingeschränkt empfehlen kann die Lektorin hingegen den dritten Roman von Khaled HosseiniTraumsammler“ (S. Fischer). Wer bisher noch nichts von ihm gelesen hat, sollte das jetzt unbedingt nachholen: absolut berührend.

Ian McEwan mit Honig“ (Diogenes) hat die Lektorin nicht überzeugt. Für den McEwan-Fan zwar sehr nett, da man in dem Buch Anspielungen auf viele ältere Geschichten von ihm wiederfindet, insgesamt aber eine eher dünne Story mit einer ziemlich anstrengenden Protagonistin. Da hilft es nichts, dass er sich immer wieder gut liest. Es gab schon soo viele bessere Bücher von ihm.

Als letzte Neuerscheinung in dieser Rubrik dann ein Buch aus dem Hause Bastei Lübbe – oh Gott! Nein, aber im Ernst: Rebecca Gablé schreibt einfach sehr runde, gut recherchierte und genaue Historienschmöker. Mit „Das Haupt der Welt“ geht’s diesmal zu Otto dem Großen und in die Mark Brandenburg. Es gibt fast nix Besseres, wenn man bei Regen und mit einer dicken Erkältung auf dem Sofa liegt.

Ansonsten aus der Kategorie der „nachgelesenen“ Bücher, weil’s von diesen Lieblingsautoren gerade nichts Neues gab:

  • Douglas Coupland, Generation A (Tropen 2010)
  • Sten Nadolny, Ullsteinroman (Ullstein 2003)
  • Philip Roth, Professor der Begierde (Hanser 1977)

Das Lesejahr 2013

Flora & Fauna

Die Lektorin sieht sich, wenn sie erzählt, was sie beruflich macht, immer wieder mit drei Fragen konfrontiert:

1.) Ob sie denn „auch sonst noch“ lese.

Natürlich tut sie das. Viel und sehr gerne! Manchmal ein bisschen wahllos.

2.) Ob sie sich denn an alles erinnere, was sie so lese.

Natürlich tut sie das nicht. Aber das ist wie mit dem Fernsehen: Es gibt die Bücher/Filme, an die man sich noch nach Jahren erinnern kann, und es gibt diejenigen, die man schon nach einer Woche vergessen hat. Letztere entsprechen z. B. amerikanischen Fernsehserien, etwa CSI. Man guckt sie, weil gerade nichts anderes läuft (ist ja auch mal ganz nett, oder auch nicht), aber man kann in der Regel schon eine Woche später den Plot nicht mehr nacherzählen, und wenn man eine der ungezählten Wiederholungen guckt, kann es schon einmal eine halbe Stunde dauern, bis man feststellt, dass man das Ganze eigentlich schon kennt und weiß, wer der Täter ist (weil man sich erinnert, nicht weil allzu große Ansprüche an die deduktiven Fähigkeiten gestellt werden). Das heißt, der Titel steht auf der Liste der gelesenen Bücher, aber die Lektorin müsste zumindest den Klappentext noch einmal lesen, um sich zu erinnern, worum es ging oder wie die Hauptperson hieß oder … möchte einfach gerne vergessen, dass sie das Buch gelesen hat. Aber sie wird einfach mal ganz ehrlich sein.

3.) Ob sie denn nicht mal was empfehlen könne – für die Großmutter, den Schwiegervater, die kleine Schwester …

Natürlich kann sie das machen. Aus ihren selektiven und individuellen Leseerfahrungen heraus, aus beruflichen und privaten Begegnungen mit Büchern. Und da es hier oft genug um das Berufliche geht, jetzt zum „Freizeit“-Lesejahr 2013 der Lektorin.

Zu den folgenden Kategorien wird es in nächster Zeit Einträge zu lesen geben:

  • Lieblingsautoren: Bücher von Autoren, von denen die Lektorin seit Jahren immer wieder das neuste Buch liest – oder ältere Titel nachliest
  • Bücher von Autoren, die die Lektorin erst kürzlich entdeckt hat, aber jetzt schon weiß, dass sie nun eine neue Sucht entwickelt hat – neue Lieblingsautoren
  • Literaturpreise (2012/2013)
  • Internationale Entdeckungen
  • Das, was die Lektorin schon länger mal lesen wollte (Klassiker und „Pop“)
  • Die Urlaubslektüre in diesem Jahr
  • Bücher, die es verdient haben, hier genannt zu werden
  • Kurztexte (Kolumnen und Erzählungen)
  • Krimi-Reihen, bei denen die Lektorin von Anfang an dabei ist, und die sie einfach weiterliest, obwohl, ja, obwohl manches echt nicht so toll ist
  • Sachbücher
  • Bücher, die (weitgehend) vergessen wurden – oder vergessen werden sollten!

Natürlich gibt es immer wieder Überschneidungen – kaum eines der Bücher gehört nur in eine Kategorie, aber die Lektorin  tut, was sie kann.

Und natürlich allen: ein wundervolles Lesejahr 2014!